„Bitte Herr Kosanke, kümmern Sie sich darum, dass so etwas nicht wieder passiert.“

Am 1. Juni 2016 schrieb Anna L. einen beeindruckenden Brief über die Vorkommnisse beim Landespokalfinale in Luckenwalde an Sören Kosanke (SPD), den Vorsitzenden des Ausschusses für Inneres und Kommunales des Landtages Brandenburg. Sie ist 20 Jahre alt. Schon als Baby war sie bei Spielen des SVB. Sie ist im Laufe der Jahre mit dem Verein aufgewachsen und hält dem SV Babelsberg 03 bis heute die Treue. Sie kann leider nicht jedes Spiel besuchen, da sie zum Studium nach Aachen ging. Der Familienausflug zum Spiel war deshalb ein ganz besonderes Ereignis, das aber durch die willkürliche Gewalt der Polizeibeamten zur erschreckenden Farce wurde. In ihrem Brief berichtet Anna über ihre Erlebnisse, die Hilfe für verletzte Fans, über ihre Angst und ihre Verzweiflung. Außerdem regt sie ein Umdenken im Verhalten der Polizei gegenüber Fußballfans an und bittet Sören Kosanke ausdrücklich darum, dafür zu sorgen, dass sich die Vorkommnisse in Luckenwalde nicht wiederholen, „dass Kinder nicht so verstört sind, dass sie nie wieder zum Fußball wollen […], dass Fußball gucken wieder Spaß macht“. Dieser Brief blieb bis heute, vier Monate nach dem Gewaltexzess der Polizei unbeantwortet. Wir dokumentieren den Brief an dieser Stelle und betonen, dass wir nicht vergessen werden und endlich Konsequenzen fordern.

 

01.06.2016

 

An den Vorsitzenden des Ausschusses für Inneres und Kommunales des Landtags Brandenburg wegen der Vorfälle am Rande des Pokalfinalspiels FSV Luckenwalde gegen SV Babelsberg 03

 

Sehr geehrter Herr Kosanke,

 

ich wende mich an Sie, weil ich am letzten Samstag, den 28.05.2016, gemeinsam mit meinem Vater beim Landespokalspiel Luckenwalde gegen Babelsberg war und Sie die nach dem Spiel zustande gekommene Auseinandersetzung zwischen der Polizei und den Fans des SV Babelsberg 03 im Innenausschuss behandeln werden.

 

Im folgenden möchte ich Ihnen gerne meine Eindrücke von diesem Vorfall schildern:

 

Hierzu sollten Sie vielleicht wissen, dass ich bereits seit meinem 1. Lebensjahr (also nunmehr 19 Jahren) Spiele des SVB besuche und somit durchaus behaupten würde, das Fanklientel einschätzen zu können. In den 19 Jahren habe ich hin und wieder mitbekommen müssen wie es am Rande von Spielen zu Ausschreitungen und Auseinandersetzungen kam, nicht nur zwischen Fans und der Polizei, sondern auch zwischen Fangruppen der verschiedenen Vereine. Somit denke ich zu wissen, inwieweit Krawalle neben dem Spiel noch als “normal” zu erachten sind. Der Konflikt zwischen der Polizei und den Fans des SVB am besagten Samstag war es jedenfalls nicht.

 

Ich bin für dieses Spiel extra aus der Kölner Gegend angereist, es sollte ein schöner Tag mit meinem Vater werden. Genau so, wie es das wahrscheinlich auch für das vierjährige Mädchen neben uns ein schöner Tag mit ihrer Familie werden sollte. Der SV Babelsberg ist meines Erachtens bekannt für seine Familienfreundlichkeit und somit ist jedes Spiel auch Anlaufpunkt für Kinder, Frauen, Senioren und körperlich und geistig Beeinträchtigte. Also nicht nur das übliche Krawall-Klientel.

 

Das gesamte Spiel über und auch auf dem Weg zum Stadion war die Stimmung außerordentlich friedlich für ein Auswärtsspiel dieser Bedeutung. Selbst als Babelsberg in Führung ging und später dann der Sieg absehbar war blieb die Stimmung ruhig. Erst als die Babelsberger ihre Pyrotechnik zündeten gab es die erste Situation, die mich überrascht hat. Verstehen Sie mich nicht falsch, Herr Kosanke, ich weiß dass das illegal ist und verurteile es auch dahingehend, als dass mein Verein später für die Strafe aufkommen muss, was diesen “Fans” wahrscheinlich egal ist. Jedoch auf eine simple Pyrotechnik-Choreografie, bei der niemand Gefahr lief verletzt zu werden mit Feuerwehr und schwer eingepackter Polizei zu reagieren, ist mehr als überzogen. Die normale Reaktion auf solch ein Ereignis ist erst einmal eine Lautsprecherdurchsage und selbst in den Hochsicherheits-Bundesligastadien sieht man wieder Pyroshows, ohne dass darauf ein massiver Polizeieinsatz folgt.

 

Besagte Polizei hat sich dann vor dem Fanblock positioniert. Dies geschah, obwohl mit der Leitung des SV Luckenwalde ausgemacht war, dass die Ordner des SVB sich um Recht und Ordnung in diesem Gebiet des Stadions kümmern und erst wenn weitere Hilfe benötigt wird, die Polizei hinzugezogen wird (vgl. vorläufige Stellungnahme des SV Babelsberg 03). Aus dieser Stellungnahme geht auch hervor, dass der FSV Luckenwalde sich dazu entschieden hat unter allen Umständen einen “Platzsturm” zu verhindern. Ein solcher ist normalerweise bei einem Sieg in einem Spiel dieser Bedeutung üblich. Das Platzrecht lag aber nun beim FSV und daran konnte man nun auch nichts ändern. Ich weiß auch nicht, ob die Gruppen aus dem Hauptfanblock im Voraus darüber informiert waren, mein Vater und ich wussten davon jedenfalls nichts.

 

Nach Abpfiff des Spiels wollten nun also die Fans des SVB 03 auf dem Platz, um den Sieg gemeinsam mit ihrer Mannschaft zu feiern. Ich finde, man sollte sehr wohl zwischen einem aggressiven und gewalttätigen “Platzsturm” und dem bei solchen Pokalfinals üblichen Betreten des Platzes zum gemeinsamen Feiern mit der Mannschaft unterscheiden.

 

Was genau im folgenden geschah kann ich nur aus der Stellungnahme des SVB berichten, da ich selbst das Geschehen nicht genau einsehen konnte. Die Polizei soll demnach jedoch zunächst einzelne Personen gewaltsam am Betreten des Spielfeldes gehindert und dazu Pfefferspray erst gezielt eingesetzt haben. Jedoch schienen die Beamten mit der darauffolgenden Situation, in welcher nun nicht nur glückliche sondern auch wütende Babelsberger auf das Feld stürmten, überfordert und sprühte das Spray daraufhin wahllos in den Block, auch Schlagstöcke wurden eingesetzt. Diese Reaktion überraschte mich vor allem dahingehend, dass zuvor zwei – drei wütende Luckenwalder auf den Platz gerannt sind, geradewegs auf die Spieler des SVB zu und dabei den Mittelfinger gezeigt haben. Man reagierte darauf aber nicht mit verstärkter Polizeipräsenz vor deren Block, noch nicht einmal Ordner wurden aufgestockt.

 

Von hier kann ich nun wieder aus meiner Sicht berichten: Von da an liefen an mir und meinem Vater bereits Menschen mit nicht nur vom Pfefferspray zu gequollenen Augen, sondern auch Menschen mit blutenden Gesichtern vorbei. Des Weiteren musste eine reglose Person direkt vom Feld mit dem Krankenwagen abtransportiert werden.

 

Bitte erinnern Sie sich ich an dieser Stelle an meine eingangs geschriebenen Worte: Babelsbergspiele sind ein Event für die ganze Familie. Das vierjährige Mädchen stand immer noch bei uns und auf dem Feld standen die Spieler mit ihren Kindern. Kinder in einer Umgebung, in der die Polizei ziellos mit Pfefferspray um sich sprüht und wahllos in eine heterogen zusammengesetzte Menschenmenge prügelt. Solche Szenen kannte ich bisher nur aus autoritären Staaten.

 

Meinem Vater und mir wurde die gesamte Situation dann zu bedrohlich und wir versuchten uns auf den Heimweg zu machen. Außerhalb der Zuschauerränge trafen wir auf weitere Verletzte, unter anderem auch eine junge Frau, die Opfer einer Pfefferspray Attacke wurde und nun vor Angst hyperventilierend am Ausgang saß. Da mein Vater Arzt ist, blieben wir, um ihr zu helfen. Mein Vater kümmerte sich um die junge Frau und ich mich um deren Bruder. Und hier konnte ich nun erleben, weshalb der Streit so eskalierte. Besagter Bruder, der weinte und außer sich vor Angst und Zorn war, machte auf mich von seinem Habitus her einen normalbürgerlichen Eindruck. Jedenfalls war er nicht die Sorte Mensch, die gerne auf Demonstrationen Steine auf die Staatsmacht wirft. Doch seine Schwester wurde aus reiner Willkür von der Polizei verletzt und er fühlte sich ohnmächtig und unglaublich wütend. Auch er hatte Pfefferspray ins Gesicht bekommen. Er und seine Schwester waren im falschen Moment am falschen Ort. Die Wut dieses Mannes war so groß, dass er alleine auf eine große Gruppe gepanzerter Polizisten losgehen wollte. Die Menschen, die da sind, um uns zu beschützen, die aber an diesem Tag so viele Unschuldige verletzt haben.

 

Der gesamte Mob, der jetzt gegen die Polizei zielte bestand wahrscheinlich zu großen Teilen aus Menschen, deren Freunde verletzt wurden und die außer sich waren vor Wut auf diese Beamtenwillkür und die offensichtlich weit überzogene und insgesamt absolut unprofessionelle Reaktion der Polizei . Die Menschen wurden außerdem daran gehindert das Stadion zu verlassen. Aber damit nicht genug, nein, es kamen auch immer mehr Polizisten in den Eingangsbereich. Weiterhin wurde ziellos mit Pfefferspray und Schlagstöcken hantiert.

 

Und hiermit möchte ich nun zu einer Szene kommen, die sich direkt vor meinen Augen abgespielt hat und die meine Stimmung vom relativ emotionslosen Helfer der Verletzten in pure Angst hat umschlagen lassen: Ich saß immer noch bei besagtem Bruder und habe versucht ihn soweit zu beruhigen, dass er nicht noch einen Schlagstock auf den Kopf bekommt, als ich mitbekam, wie sich die Polizei zurückzog. Ich habe mich bereits gefreut und gehofft, dass wir jetzt alle endlich gehen können, da stürmt der gesamte Trupp auf einmal, ohne einen mir erkenntlichen Anlass, wieder durch das Eingangstor auf den Vorplatz, während sie Geräusche von sich geben, die man eher aus dem Film “300” kennt. Dabei rennen sie über zwei Menschen drüber, treten nachträglich noch mal auf sie ein. Die hinteren Polizisten holen daraufhin ihre Schlagstöcke raus und schlagen die am Boden liegenden Männer. Es kommen immer mehr Polizisten.

 

Mein Vater kommt, die Frau ist stabil, wir wollen gehen. Noch immer sind die Tore versperrt. Wie viele der Anwesenden weine ich nun. Nicht, weil einer meiner Bekannten verletzt ist, ich weine weil ich furchtbare Angst habe vor diesen Männern und Frauen in ihren dicken schwarzen Panzern. Überlegen Sie sich das doch mal bitte Herr Kosanke, ich hatte Angst vor den Menschen, die eigentlich dazu da sind mich zu beschützen. Ich gehe zu einer Gruppe Polizisten und sage Ihnen, dass wir jetzt einfach nur noch gehen wollen. Und zum ersten Mal sage ich auch jemandem, dass die Strategie, die sie verfolgen die ganze Situation nur noch schlimmer macht. Mein Vater versucht ebenfalls ein Gespräch. In den Augen der jungen, völlig mit der Situation überforderten Polizisten sehe ich eine tiefe Verunsicherung. Wir fragen, ob sie stolz auf das sind, was sie hier gerade angerichtet haben. Sie sind nur wenig älter als ich. Wie kann es denn bitte sein, dass Menschen, die für so etwas ausgebildet sind, diese Gefühle in dieser Situation zeigen?

 

Mein Vater und ich schaffen es aus dem Stadion raus und treffen auf einen Polizisten, den wir für einen der Einsatzleiter halten. Wir versuchen mit ihm ins Gespräch zu kommen und ihm zu erklären, dass das was sich dort drinnen abspielt und das dies alles andere als deeskalierend ist. Ich frage ihn, ob er noch nie einen Tierfim gesehen hat und versuche ihm zu erklären, dass Tiere unheimlich aggressiv werden, wenn sie bedroht werden und dass das Auftreten der schwarz gepanzerten Polizisten unglaublich bedrohlich ist. “Menschen reagieren in dieser Situation doch auch nur wie Tiere”, sage ich. “Ja genau, das da drin sind Tiere”, sagt er. Das war die Botschaft, die er aus dieser Metapher gezogen hat, dabei habe ich doch nun wirklich versucht, es ihm einfach zu erklären, warum das ganze immer schlimmer wird. Ich füge noch an, dass die Situation weiter eskalieren wird, je mehr Leute er dort hinein schickt. Wir gehen.

 

Mein Team hat gewonnen, aber es fühlt sich an, als hätten wir als Fans des SV Babelsberg 03 an diesem Tag etwas verloren.

 

Lieber Herr Kosanke, ich hoffe eindringlich, dass sie schlauer sind als der Einsatzleiter, mit dem wir geredet haben, und verstehen, worauf ich hinaus will. Das ganze Chaos und die ganzen Verletzten hätten verhindert werden können. Es hätten massiv öffentliche Gelder gespart werden können, wenn die Polizei sich hier viel mehr zurückgehalten hätte. Ein Betreten des Platzes durch die Fans hätte sicherlich von den Babelsberger Ordnern (die soweit ich weiß in der Fanszene anerkannt sind) verhindert werden können. Man hätte die Fans mit der Mannschaft feiern lassen müssen. Es wäre für alle, auch für Ihre Polizisten, ein schönerer Tag geworden.

 

Ich plädiere hiermit für ein Umdenken in der Polizeistrategie für Fußballspiele. Nicht nur die des SVB 03, sondern Fußballspiele im Allgemeinen. Oft provoziert das Auftreten der Polizisten in ihren bedrohlichen schwarzen Panzern erst die Gewalt. Haben Sie Polizisten in Zivil vor Ort, die die Störenfriede direkt abführen oder sie gegebenenfalls in Gewahrsam nehmen, und halten Sie ihre menschlichen Panzer irgendwo versteckt in der Nähe. Diese können eingreifen, wenn Menschen tatsächlich in Gefahr sind. Aber stellen Sie sie unter keinen Umständen vor den Fanblock. Dort schüren sie mit ihren dicken Panzern, den Schlagstöcken und ihren grimmigen Gesichtern nur Angst und somit auch Aggression. Bitte Herr Kosanke, kümmern Sie sich darum, dass so etwas nicht wieder passiert. Kümmern Sie sich darum, dass Kinder nicht so verstört sind, dass sie nie wieder zum Fußball wollen, kümmern Sie sich darum, dass Fußball gucken wieder Spaß macht, für uns alle.

 

Die Gefahr für uns ging an diesem Tag eindeutig von der Staatsmacht und nicht von den vereinzelten Chaoten aus.

 

Vielen Dank

Anna L.